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Käse aus Holland

Das neue Computerkriminalitätsgesetz in den Niederlanden

Seit dem 1. März 1993 hat die niederländische Justiz eine neue Waffe gegen Hacker, Phreaks und Computerkriminelle: den Straftatbestand der Computerkriminalität. Bisher musste auf Gesetze zurückgegriffen werden, in denen Computer nicht existent waren und deshalb oft nicht auf die veränderte Lage zutrafen.

Das niederländische Computerkriminalitätsgesetz setzt sich aus erneuerten alten und völlig neu erstellten Artikeln zusammen. Zum Beispiel kann Spionage jetzt offiziell per Computer betrieben werden. Das Abhören von Telefonleitungen kann zur Überwachung von Gesprächen und jetzt auch von elektronischer Datenübertragung eingesetzt werden.

Das neue Gesetz behandelt völlig neue Themen. Obwohl dort andere Begriffe verwendet werden, als Hacker sie normalerweise benutzen, erkennen wir doch einige Themen, die uns bekannt vorkommen. Beim Lesen dieses Artikels bitte bedenken, dass der reine Text eines Gesetzes noch keine Auskunft darüber gibt, was jetzt wirklich legal ist und was nicht. Das hängt immer noch zu einem grossen Teil davon ab, wie die Polizei, Richter und Staatsanwälte es interpretieren und damit umgehen. Das Gesetz ist noch sehr jung, und es gibt bis jetzt noch kaum Präzedenzfälle.

Hacking

Der Aufenthalt in einem Computersystem, zu dem man keine Zugangsberechtigung hat, ist verboten. Wenn, um in das System zu gelangen, ein Paßwort erraten, ein Trojanisches Pferd oder ein Passwort-Cracker verwendet wird oder der Account von jemand anderem benutzt wird, kann das maximal sechs Monate Gefängnis kosten, sofern man sich nur umsieht und nichts anfasst, verändert oder kopiert.

Für das Kopieren von Daten ist die Strafe weit höher: 4 Jahre. Das illegale Eindringen in ein System per Modem und die Nutzung dessen Prozessorkapazitäten für eigene Zwecke wird ebenso mit maximal 4 Jahren bestraft.. In diesem Fall heisst das: man hat nur das System benutzt und nichts verändert, beschädigt oder kopiert.

Noch um einiges interessanter ist das nächste Verbrechen, das man begehen könnte: Eine Person, die mit ihrem Modem illegal auf ein System zugreift und dann von dort auf ein anderes System geht (die niederländische Gesetzgebung verwendet hier den Begriff "hopping"), muss ebenfalls mit 4 langen Jahren im Gefängnis rechnen. Auch wenn diese Person kein einziges Bit der von den Systemadministratoren so heiss geliebten Daten verändert, kopiert oder oder beschädigt, Die Straftat unterscheidet sich im Grunde nicht von der im ersten Absatz beschriebenen. Die Anwendung eines Modems jedoch ist offenbar der ganze Unterschied.

Aus irgendeinem Grunde sind Menschen mit Modems wohl um einiges suspekter als die, die keines besitzen.

Ein Silberstreif am Horizont ist allerdings zu sehen. Zwar ist es verboten, Informationen wie (Firmen-)Geheimnisse oder andere Daten, die einem durch Hacken oder auf andere Weise in die Hände geraten und die nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind, zu verwenden oder zu veröffentlichen. Wenn aber eine Veröffentlichung dieser Inhalte im allgemeinen Interesse liegt, ist diese legal. In diesem Fall ist auch bei gehackten Informationen eine strafrechtliche Verfolgung des Hackens selbst unwahrscheinlich.

Beschädigungen

Noch etwas, das speziell nicht erlaubt ist, ist das Beschädigen oder Stören der Funktionsfähigkeit eines Computersystems oder Teilen der Kommunikations-Infrastruktur. Darunter fällt alles vom Verändern einiger Bytes in einem Computersystem bis zum physikalischen Abbrennen einer Vermittlungsstelle. Die verhängte Strafe hängt von der Grösse des entstandenen Schadens ab und variiert von 6 Monaten bis zu 15 Jahren. Die 15 Jahre werden nur dann verhängt, wenn Menschen ums Leben gekommen sind, zum Beispiel, wenn das Computersystem eines Krankenhauses manipuliert wird oder die Telekommunikationseinrichtungen einer Notrufannahme gestört werden.

Illegales und absichtliches Verändern, Hinzufügen oder Löschen von Daten in einem Computersystem kann mit bis zu 2 Jahren Gefängnis bestraft werden. Wenn jedoch über Modem illegal in einen Computer eigedrungen wird und den vorhandenen Daten ernster Schaden zugefügt wird, beträgt die Höchststrafe 4 Jahre. Wer also vorhat, schwere Schäden zu verursachen, sollte dies lieber direkt an der Konsole tun, Das Risiko, erwischt zu werden, ist zwar höher, aber die maximale Strafe nur halb so hoch. Auch hier sind Personen, die Modems benutzen, der Gesetzgebung offenbar unheimlich.

Damit zu drohen, zum eigenen Nutzen Daten auf einem System zu zerstören oder das System zu crashen (einfache Leute nennen das wohl Erpressung), kann bis zu 9 fahren Gefängnis bedeuten. Diese Strafe kann sich auf 12 Jahre ausweiten, wenn die Straftat von zwei oder mehr Beteiligten begangen wird, nachts in einer Wohnung, auf offener Strasse oder im Zug (der Gesetzesartikel, der in diesem Fall die Strafe festlegt, ist ursprünglich für Diebstahl mit Gewalt oder Drohung konzipiert. Mit etwas Phantasie kann er also auch auf mobile Computerkriminelle mit Laptop und Funktelefon angewendet werden). Wenn dabei ein Mensch ums Leben kommt, kann die Strafe bis zu 5 Jahren betragen.

Viren

Es ist verboten, Daten, die den Zweck haben, sich selbst zu reproduzieren, in Computersystemen zu verbreiten. Personen, die dies illegal und absichtlich tun, riskieren, für 4 Jahre ins Gefängnis zu gehen. Falls ein Virus unabsichtlich verbreitet wird, beträgt die maximale Strafe einen Monat, Zum Zwecke der Aufklärung ist es gestattet, Viren zu verteilen, um von Viren verursachte Schäden vermeiden zu können, Niederländische Virenfreaks spekulieren noch, ob es sicher ist, zu Zwecken der Weiterbildung untereinander Viren auszutauschen. Bis jetzt ist in den Niederlanden noch niemand wegen eines Virus in Schwierigkeiten gekommen.

Phreaking

Die Nutzung öffentlicher Telekommunikationseinrichtungen unter Anwendung technischer Tricks oder falscher Signale mit dem Ziel, dafür nicht oder nur teilweise bezahlen zu müssen, kann bis zu 3 Jahren Gefängnis bedeuten. Man könnte sich jetzt eine ganze Reihe technischer Tricks vorstellen, von kultiviertem Blueboxing bis zum Mißbrauch der nachbarlichen Telefonleitung. Was aber "falsche Signale" sein sollen, hat bis jetzt noch niemand herausgefunden, Diese seltsame Formulierung riss einen niederländischen Phone phreak zu der entrüsteten Bemerkung hin- "Wie jetzt - falsche Signale? Ich verwende nur richtige Signale!"

So wie dieser Gesetzesartikel geschrieben ist, könnte er auch bedeuten, dass es legal ist, Einrichtungen zu benutzen, die der Öffentlichkeit nicht oder noch nicht zugänglich sind. Die hardcore phreaks werden also möglicherweise nicht gezwungen werden, ihr Hobby an den Nagel zu hängen. Hier muss man allerdings richtig gut sein, das niederländische Telefonsystem ist nämlich ziemlich modern und es ist nicht so ganz einfach, damit herumzuspielen.

Das Verkaufen und Verbreiten von und Werben für Blueboxen, Software oder anderen Daten, die für das Phone phreaking von Bedeutung sind, kann mit einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Das könnte auch bedeuten, dass Phone phreaks beim Austauschen der neuesten Tricks vorsichtig sein müssen. Wer Derartiges verkauft, verbreitet oder dafür wirbt, kann für 3 Jahre eingesperrt werden.

Social Engineering

Wenn eine Person von jemandem Informationen bekommt, die nicht für ihre Augen, Ohren oder Disketten bestimmt sind, in dem sie diesen Menschen in die Irre führt oder vorgibt, jemand anderes zu sein, betreibt sie, je nach Art der Information, social engineering. Das kann mit bis zu 3 Jahren bestraft werden. Interessant übrigens, dass der Artikel in einem Gesetz zur Computerkrimmalität zu finden ist...

Datenempfang

Natürlich ist es verboten, anderer- Letite Voice- oder Daten-Telefonleitungen abzuhören. Alles, was durch die Luft geht, darf frei empfangen werden. Seit dem 1.1.93 ist es für den Fall, daß man dabei besonderen Aufwand betreibt, verboten, Daten unbefugt überFunk zu empfangen. Was unter "besonderem Aufwand" zu verstehen ist, ist noch vollkommen unklar. Möglicherweise ist es illegal geworden, Pager-Informationen (Cityruf) zu empfangen) die mit ein wenig Elektronik ziemlich leicht auf den heimischen Bildschirm zu bekommen sind. Wie auch immer, solange, bis jemand dafür verhaftet wird, können wir nur spekulieren.

Karten

Das Verfälschen oder das Erstellen falscher Bankkarten, Kreditkarten und ähnlicher Dinge zum eigenen Vorteil ist nicht gestattet. Das bedeutet wahrscheinlich: Wer Karten kopiert oder seine eigenen Daten auf eine Blankokarte schreibt, um reich zu werden, riskiert maximal 6 fahre seines jungen, kostbaren Lebens, Möglich ist auch, dass das Kopieren oder Erstellen von Karten, nur aus Interesse an der Technik, legal ist.

Dieselbe Strafe erwartet jeden, der eine gefälschte Karte benutzt, als wäre sie echt und nicht gefälscht. In diesem Fall sagt das Gesetz nicht ein Wort über erschlichene Vorteile. Also geht der Hacker, der eine Kopie seiner Karte macht und sie ausprobiert, nur um zu sehen, ob es funktioniert, für bis zu 6 Jahre ins Gefängnis!

Das Leben, die Gesetze und der ganze Rest

Das Computerkrimininalitätsgesetz wurde laut den Erstellern hauptsächlich konzipiert, um richtige Computerkriminelle ins Netz zu bekommen. Den Bankangestellten, der seine Firma um Millionen betrügt, den Rache schwörenden Ex-Systemverwalter, der damit droht, das System der Firma, die ihn gefeuert hat, zu crashen, oder den harten Kriminellen, der mit grossen Mengen gefälschter Kreditkarten handelt. Es wurde nicht speziell für die vielleicht irritierenden, aber letztendlich kleinen, Hacker im System entworfen.

Soweit die Ersteller...

Innerhalb von drei Wochen nach dem berüchtigten 1.März verhaftete die Amsterdamer Polizei das erste Opfer des neuen Gesetzes: der neunzehnjährige Hacker RGB wurde verhaftet, als er an einem Unix-System der Freien Universität Arnsterdam sass. RGB, der kein Student dieser Uni ist, wurde verdächtigt, sich unter dem Account von jemand anderem eingeloggt zu haben und vom Amsterdamer System aus eine Verbindung zum System der Technischen Universität von Delft aufgebaut zu haben, das sich ebenfalls in den Niederlanden befindet.

Nach dem neuen Gesetz hätte er dafür für bis zu 4 Jahre ins Gefängnis gehen können. RGB wurde 38 Tage in Untersuchungshaft festgehalten, obwohl er die Aussage verweigerte. Wegen des offensichtlichen Mangels an Beweisen wurde er dann freigelassen und hat seitdem nicht mehr viel von den zuständigen Behörden gehört. Momentan erscheint eine strafrechtliche Verfolgung seines vermuteten digitalen Grenzüberschritts nicht mehr sehr wahrscheinlich.

Die Folgen

Was sind die Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die niederländische Hack- und Phreak-Gemeinde?

Also, eins ist sicher: Einige Hacker hacken seit dem 1, März nicht mehr. Die, die es noch tun, sind ziemlich vorsichtig geworden, wenn es darum geht, anderen davon zu erzählen. Die Leute tauschen jetzt Informationen aus, "Um andere vor den Sicherheitsrisiken bestimmter Systeme zu warnen". Oder sie sagen: "Hey, ich habe da irgendwo etwas Interessantes gehört - aber probier es nicht aus, es ist illegal." Nur sehr wenige, nicht-so-schlaue Mitmenschen behaupten manchmal, sie hätten dies oder das gehackt. Meist glaubt ihnen niemand, Die niederländischen Phreaks, die den Demon Dialer, das perfekte Phone-phreak-Werkzeug, gebaut haben, haben wegen dieses Gesetzes damit aufgehört, ihn zu verkaufen. Hack-Tic, die einzige niederländische Hackerzeitung, wird in Zukunft nicht mehr über grosse Hacks in Konzerne u. ä. berichten. Oh, natürlich könnten sie die Informationen als anonymous mail bekommen... ;-)

Aber nicht alles ist verloren. Im August 1993, 5 Monate nach der Verabschiedung des Computerkriminalitätsgesetzes, war es immerhin möglich, in den Niederlanden einen dreitägigen internationalen Hackerkongress mit ca. tausend Teilnehmern aus 15 verschiedenen Ländern zu organisieren. Einerseits redeten die Leute dort in aller Offenheit über Hacking und Phreaking, obwohl das meiste, wovon die Rede war, vor dem 1.3.93 stattgefunden hatte, Andererseits konnte man bereits einen Interessenwandel bemerken - vom "Hacken als Selbstzweck" hin zu den Einflüssen der Computertechnologie auf die Gesellschaft.

Diese Entwicklung wird sich wohl in Zukunft fortsetzen. Hacker sind nicht nur an Technik interessiert, oder daran, böse oder illegale Dinge zu tun, Sie sind lediglich Leute, die Sachen wissen und ausprobieren wollen, die neue, ungewöhnliche und kreative Ideen aufbringen. Sie sind Leute, die ihre Augen nicht vor den Einflüssen neuer Technologien auf die Gesellschaft verschliessen, sondern diese kritisch beäugen. Und egal, was in Zukunft auch für Gesetze eingeführt werden: es wird immer neue Interessengebiete geben, die von kreativen Köpfen. erforscht werden können...

Hanneke Vermeulen

 

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